Andacht für April – Mai

Das Leben wahrnehmen

Maria von Magdalena kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.  (Johannes 20,18)

Liebe Gemeinde, ich bin sprachlos in diesen Tagen. Seit 14 Tagen haben wir Krieg in der Ukraine. Menschen erleben Schreckliches. Sie müssen sich verstecken vor den Angriffen der Raketen. Von einem Tag auf den anderen verlassen sie ihre gewohnte Umgebung, um sich und die Familie in Sicherheit zu bringen. Sie sind auf der Flucht und wissen nicht, wie es für sie in der Zukunft weiter gehen soll. Sie werden liebevoll aufgenommen in der Fremde, der Sprache nicht mächtig und tauchen in ein ganz neues Leben ein….Ich gehe ein wenig in der Sonne spazieren auf der Suche nach dem Frühling und bin überwältigt von der zunehmenden Kraft der Sonne, die die Erde erwärmt und viele Farben und Formen auf die noch grauen Wiesen zaubert. Ein Gedicht von Rilke fällt mir ein:

Vorfrühling
Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung
an der Wiesen aufgedecktes Grau.
Kleine Wasser ändern die Betonung.
Zärtlichkeiten, ungenau,

greifen nach der Erde aus dem Raum.
Wege gehen weit ins Land und zeigens.
Unvermutet siehst du seines Steigens
Ausdruck in dem leeren Baum.

Wie soll ich beides zusammenkriegen? Ein seltsamer Kontrast ist das. Wir feiern Ostern. Wir feiern das Leben. Jesus ist auferstanden und hat den Tod besiegt. Draußen erwacht das Leben neu. Doch wenn ich abends die Nachrichten sehe, dominieren Schreckensmeldungen das Bild. Wie soll ich das zusammenbringen, diese Bilder und unser Osterfest? Wo siegt denn da das Leben über den Tod? Doppeldeutig ist oft unsere Wirklichkeit. Nebeneinander erleben wir Ende und Anfang, nahbeieinander liegen Liebe und Hass, Zerstörung und Neubeginn. Wem wollen wir glauben im Wechselbad der Gefühle? Woher wollen wir unsere Kraft beziehen? Wenn ich in diesen Tagen nicht beten könnte, wüsste ich mit meinen zwiespältigen Gefühlen gar nicht wohin. Ich kann mich Gott anvertrauen in Zeiten der Ohnmacht und Hilflosigkeit und für mich begreifen, das Leben geht weiter, allen Widersprüchen zum Trotz. Es sucht sich einen anderen Weg in mir und mit mir. Auch wenn ich diesen jetzt noch nicht sehen kann…aber ich kann die Farben sehen.

Ostern feiern: das Fest der Hoffnung: Das Leben siegt über den Tod. Manchmal sind seine Bilder kraftvoll und stark. Manchmal sind sie werbend und zart. Kaum zu erkennen und doch da. Und manchmal feiern wir gegen den Augenschein. Den Bildern des Todes zum Trotz. Wir suchen die Hoffnung noch, suchen das Leben. Ich will es wagen, der Botschaft zu trauen: Jesus ist auferstanden. Der Morgen ist angebrochen, im Grab ist Licht.

Im Russischen heißt Sonntag Воскресе́ние (voskresesenie) und dass bedeutet Auferstehung.

Wir werden leben hier auf Erden und in Ewigkeit…

Ihre Pfarrerin Evelin Franke